Mythos Murano
Ab 19.11.2024
In einem neu geschaffenen Ausstellungsbereich unserer Glassammlung werden ab sofort jährlich wechselnde Themenausstellungen gezeigt. Den Anfang macht Mythos Murano: Seit 700 Jahren ist die kleine Laguneninsel Murano bei Venedig der Inbegriff großartiger Glaskunst.
Hier werden uralte Bräuche des Glasmacherhandwerks bewahrt und Geheimnisse neuer Farben und Herstellungsmethoden gehütet. Die letzte große Blütezeit war von 1920 bis 1970, wovon der Mythos Murano heute noch zehrt. Der Kunstpalast besitzt aus diesem Zeitraum eine umfangreiche Sammlung, aus der 135 herausragende Arbeiten präsentiert werden.
Seit dem 13. Jahrhundert entwickelte sich Venedig zur weltweiten Hauptstadt der Glaskunst. In der Hafen- und Handelsmetropole waren die besten Rohstoffe verfügbar und ermöglichten die Herstellung neuartiger Glassorten. Im Wettbewerb auf engem Raum und über viele Generationen bildete sich eine Könnerschaft im Umgang mit der Glasmacherpfeife heraus, die andernorts nicht erreicht wurde.
Nach 500 Jahren von Höhen und Tiefen kam es im 19. Jahrhundert zu einem neuen Aufbruch. Die Werkstätten des italienischen Anwalts und Unternehmers Antonio Salviati brachten neues Leben in die Glasproduktion, und Murano gewann in den 1870er Jahren seinen Ruf zurück.
Der Erfolg war nur von kurzer Dauer, denn schon seit etwa 1890 entsprach das italienische, an historische Vorbilder angelehnte Glas nicht mehr dem Zeitgeschmack. Der Anschluss an die modernen Strömungen in der angewandten Kunst gelang 1921–1925 mit der Gründung einer neuen Glasfirma durch den venezianischen Kunsthändler Giacomo Cappellin und den Mailänder Rechtsanwalt Paolo Venini. Deren Erzeugnisse nehmen Formen der Vergangenheit auf und wirken dennoch zeitlos modern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat eine junge Generation von Gestalter*innen an. Sie brachten mit ihrer Experimentierfreude des italienischen Designs neue Ideen nach Murano. Erheblichen Einfluss nahmen ausländische Handelshäuser, etwa in Frankreich und den USA, die den Betrieb der Produktionsstätten durch ihre regelmäßigen Aufträge sicherten.
Ein vorherrschendes Produkt aus den Werkstätten ist die Vase, die einen Gebrauchscharakter hat und zugleich als eigenständiges Kunstwerk gelten kann.
Der Schritt zur freien künstlerischen Plastik wurde nur selten gegangen. Die venezianischen Künstler Livio Seguso und Luciano Vistosi sind mit ihren Werken, die sich von der Gefäßform der Vase entfernen, die bemerkenswerten Ausnahmen. Mit ihrer Faszination für das Material Glas lassen Künstler*innen aus aller Welt, wie etwa der Bildhauer Tony Cragg, heute ihre Ideen auf Murano in Glas umsetzen.
Werkstätten, die mit Künstler*innen zusammenarbeiten, gibt es inzwischen in vielen Ländern. Aber der „Mythos Murano“ lockt nach wie vor nach Venedig.
Kurator: Dedo von Kerssenbrock-Krosigk, Kunstpalast
Bildnachweise
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